Zukunft braucht Vergangenheit
Vor 65 Jahren wurde das Universitätsarchivs gegründet
Von staubigen Kellerräumen hin zu einer digitalen Schatztruhe voller Geschichten: Das Universitätsarchiv der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg bewahrt seit 65 Jahren Erinnerungen, Dokumente und Nachlässe, die die Identität der Hochschule prägen. Ein Blick zurück offenbart, wie aus bescheidenen Anfängen ein lebendiges Gedächtnis der Universität gewachsen ist. Ein Blick nach vorn zeigt, vor welchen Herausforderungen das Archiv in Zeiten von Digitalisierung steht.
Nur sieben Jahre nach Gründung der Hochschule für Schwermaschinenbau im Jahr 1953 wurden im Kellergeschoss des Rektoratsgebäudes an der Falkenbergstraße 9 die ersten Regale für ein „Archiv” aufgestellt. Grundlage war die Anordnung zur Errichtung von Verwaltungsarchiven vom 31. März 1960. Was dort in bescheidenen Räumen begann, war jedoch weit entfernt von einem professionellen Betrieb: Die Verwaltung der Unterlagen war nicht mehr als eine Teilaufgabe, die von Mitarbeitenden ohne archivarische Ausbildung miterledigt wurde. Das Schriftgut wurde unter schwierigen Bedingungen verwahrt und war oft nur notdürftig gesichert.
Das Magazin des ersten Archivs im Rektoratsgebäude aus den 1960er Jahren
Foto: OVGU Archiv: B 747
„Durch den Umzug in das Wohnheim 7 im Jahr 1976 begann für das Archiv ein neues Kapitel“, unterstreicht Camen Schäfer, Leiterin des Universitätsarchivs. „Zum ersten Mal konnten die Akten nun archivgerecht gelagert werden. Zugleich veränderte sich die Rolle des Archivs grundlegend: Aus einer Nebentätigkeit wurde eine eigenständige Einrichtung mit fachlich qualifiziertem Personal. Archivare und Archivassistenten – bis zu vier Personen gleichzeitig – begannen, das Schriftgut systematisch zu erschließen. Sie führten Ordnungssysteme ein, legten Karteien an und erstellten Findbücher.“
Frau Struy leitete ab Mitte der 1970er Jahre das Archiv und arbeitete u. a. im Magazin des Wohnheims 7
Foto: OVGU Archiv: B 747
Mit der Wiedervereinigung begann eine neue Ära für die Universität und auch für das Archiv. 1993 vereinigten sich die Pädagogische Hochschule „Erich Weinert“, die Technische Universität „Otto von Guericke“ und die Medizinische Akademie zur heutigen Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. „Für das Archiv bedeutete dieser Schritt eine deutliche Erweiterung seiner Zuständigkeiten: Die Bestände der Pädagogischen Hochschule wurden in das bestehende Universitätsarchiv übernommen, während die Unterlagen der Medizinischen Akademie im Klinikum als Zweigstelle verblieben, aber nun vom Universitätsarchiv mitbetreut werden“, erläutert Carmen Schäfer. Mit der Erweiterung des Archivguts wurden neue Regalanlagen angeschafft. Nach und nach hielt auch moderne Rechentechnik Einzug, wodurch sich die Recherchen spürbar erleichterten. Doch trotz neuer Regalanlagen blieb ein Grundproblem: Zu viele Akten und zu wenig Platz. Ein neuer Standort für das Archiv wurde unumgänglich. Im Gebäude 18 fand ihn das Archiv. Dort stehen nicht nur ausreichend Flächen für die Archivalien, sondern auch Büroräume für die Mitarbeitenden zur Verfügung.
Umfangreiche Bestände und wertvolle Nachlässe
Heute umfasst das Universitätsarchiv etwa 3.500 laufende Meter Akten, von denen jährlich rund 200 Meter hinzukommen. Darunter umfangreiche Studenten-, Personal- und Promotionsakten, die kontinuierlich anwachsen. Bereits 173.000 Einträge sind digital erfasst, was die Recherche deutlich erleichtert.
Die Bestände sind in ein Verwaltungsarchiv und ein Endarchiv gegliedert. Letzteres enthält derzeit etwa 7.000 besonders wertvolle Akten mit dienstlichem Schriftgut.
Waren es einst staubige Kellerräume stellt heute die Digitalisierung die Archivmitarbeiterinnen vor Herausforderungen. „Der Schriftverkehr wird heute im Wesentlichen per E-Mail oder auf anderen elektronischen Kommunikationsplattformen abgewickelt. Analoges und digitales Arbeiten findet jedoch oft noch gleichzeitig statt“, benennt Archiv-Mitarbeiterin Sandra Schleinitz das Problem. Eine systematische Ablage beider Aktenformen erfolgt nur lückenhaft. Sie für eine fachgerechte Aufbewahrung im Archiv aufzubereiten, wird die Arbeit der Archivarinnen in Zukunft stark bestimmen.
„Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Aufbau eines digitalen Fotoarchivs. Viele historische Aufnahmen sind unbeschriftet, weshalb die Unterstützung von Zeitzeugen willkommen ist, um die Geschichten hinter den Bildern zu erschließen“, unterstreicht Sandra Schleinitz. Darüber hinaus bewahrt das Archiv bedeutende Nachlässe auf – Schriften und Dokumente von Forschenden und Lehrenden, deren Beiträge für die Wissenschaftsgeschichte der Universität von unschätzbarem Wert sind, wie die von Ernst Schiebold, Alfons Kauffeldt oder Carl Justus Heckmann.

Prof. Dr. phil. Ernst Schiebold (1894–1963) zählt zu den profiliertesten Wissenschaftlern seiner Zeit und prägte insbesondere die Gebiete der Kristallografie, Metallphysik und Werkstoffprüfung. Als Pionier der radiologischen Materialprüfung leistete er zudem bedeutende Beiträge zur Entwicklung der Hochschule Magdeburg. Zu seinem Gedenken wurde 1984 an der TH Magdeburg die Ernst-Schiebold-Gastprofessur eingerichtet, und 1996 stiftete die Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Werkstoffprüfung die „Schiebold-Gedenkmünze“. Das Gebäude 50 in der Großen Steinernetischstraße trägt heute seinen Namen und ist als Ernst-Schiebold-Gebäude ein sichtbares Zeichen seines wissenschaftlichen Erbes.

Prof. Dr. phil. habil. Alfons Kauffeldt (1906–1982) leistete bedeutende Forschungen über Otto von Guericke, die 1964 in seiner erfolgreich verteidigten Habilitation „Über das philosophische Werk Otto von Guerickes“ gipfelten. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden 1968 in dem Buch „Otto von Guericke – Philosophisches über den leeren Raum“ veröffentlicht, das einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und mehrfach neu aufgelegt wurde. Dieses Werk kann als Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens betrachtet werden und brachte ihm internationale Anerkennung ein. Für sein Buch „Nikolaus Kopernikus – der Umsturz des mittelalterlichen Weltbildes“ (1954) erhielt Kauffeldt den Literaturpreis der DDR. Er war als Professor für Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften an der Technischen Hochschule Magdeburg tätig.

Anlässlich seines 110. Geburtstags übergab Dr. Michael Heckmann den Nachlass seines Vaters, Prof. Dr.-Ing. Carl Justus Heckmann (1902–1993), an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Heckmann war Unternehmer, Konstrukteur und Universitätsprofessor und wirkte von 1956 bis 1967 an der Hochschule für Schwermaschinenbau sowie an der Technischen Hochschule „Otto von Guericke“, den Vorgängereinrichtungen der heutigen Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. In Kartons verpackt wurden 4,5 laufende Meter Ordner übergeben, darunter 120 Jahre alte Firmenkataloge, zehn Fotoalben, Unterlagen zu 128 Seminaren, die Heckmann während seiner elfjährigen Lehrtätigkeit hielt, Manuskripte für 97 Vorträge sowie 46 Publikationen mit handschriftlichen Notizen.
Von Tagungen bis Wanderausstellungen
Das Universitätsarchiv engagiert sich aktiv in der Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte der Universität und hat im Laufe der Jahre zahlreiche Ausstellungen organisiert. Im März 2023 war es Gastgeber der Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare. Mehr als 70 Fachkolleginnen und -kollegen diskutierten dabei über neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit.
Ein besonderer Höhepunkt war die Eröffnung der Wanderausstellung „Bewegung und Stillstand. Das letzte Studienjahr in der DDR“ am 15. Oktober 2024 in Kooperation mit den Universitäten Chemnitz, Halle/Saale, Jena, Leipzig und Weimar. Zahlreiche Gäste aus Politik und Wissenschaft nahmen daran teil. Die Ausstellung beleuchtet die Erfahrungen und Herausforderungen, denen Studierende in dieser prägenden Phase der deutschen Geschichte begegneten. Archivarinnen und Archivaren der Technischen Universität Prag werden die Ausstellung im Oktober 2026 während der Immatrikulation ergänzend präsentieren und somit internationale Perspektiven einbeziehen.
Ausschnitt aus dem Ausstellungsplakat „Bewegung und Stillstand. Das letzte Studienjahr in der DDR“
Plakat: Universitätsarchiv
Mit der fortschreitenden Digitalisierung im Bereich der Studierenden- und Personalakten sowie der Zunahme des digitalen Schriftguts sehen sich Hochschularchive vor großen Herausforderungen. „Die immense Menge an digitalem Schriftgut erfordert nicht nur innovative Lösungsansätze, sondern auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Hochschularchiven in Sachsen-Anhalt“ schätzt Carmen Schäfer ein. „Um dazu gemeinsam Lösungsansätze zu finden, veranstaltete unser Universitätsarchiv Ende August 2025 ein Netzwerktreffen der Hochschularchive Sachsen-Anhalts. Auch 2026 werden wir uns weiter für den Ausbau eines Netzwerks bzw. Arbeitskreises für die Hochschularchive Sachsen-Anhalts engagieren.“
Heute steht das Universitätsarchiv sinnbildlich für mehr als nur die Aufbewahrung alter Akten. Es ist Gedächtnis und Schaufenster der Hochschule zugleich, ein Ort, an dem Geschichte lebendig wird. Was einst im Keller begann, ist längst zu einem Fundament der institutionellen Identität geworden.
Text:
CARMEN SCHÄFER; Dipl.-Archivarin und Leiterin des Universitätsarchivs
SANDRA SCHLEINITZ; Mitarbeiterin des Universitätsarchivs