Professoren gehen in die Wirtschaft
Zahlreich machten Unternehmen vom Beratungsangebot der Uniprofessoren Gebrauch
Sie waren ganz schön überrascht, die 29 Professoren der Fakultäten für Maschinenbau sowie für Verfahrens- und Systemtechnik, überrascht von der großen Resonanz der Firmen auf ihre Sommerinitiative Professoren gehen in die Wirtschaft. Zu Beginn der Semesterferien hatten die Wissenschaftler in einer Broschüre ihre Forschungsgebiete vorgestellt und durch Angabe von Telefon- und Faxnummern sozusagen den direkten Draht geschaltet. Mit ihrem technisch-wissenschaftlichen Kow-how wollten die Professoren kleine und mittelständische Unternehmen der Region unterstützen und damit zur Überwindung der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Sachsen-Anhalt beitragen.
Breite Unterstützung
Rege machten Unternehmen im Land, aber auch Firmen aus der weiteren Umgebung, vom kostenlosen Beratungsangebot der Universitätsprofessoren Gebrauch, das auf eine Idee der Professoren Wolfgang Poppy und Helmut Tschöke zurückging und von ihren Kollegen sofort begeistert aufgenommen wurde. Mehr als 120 Kontakte ergaben sich - vom Telefonat, über Patentrecherchen, Beratung zu Investitionsentscheidungen und Mitarbeiterweiterbildung bis hin zu Problemanalysen und konkreten Forschungsprojekten. Das Engagement der Professoren stieß nicht nur bei den Wirtschaftsunternehmen auf Interesse. Zustimmung und Unterstützung kam auch vom Kultus- und vom Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt, von der Industrie- und Handelskammer Magdeburg, vom Verein Deutscher Ingenieure Magdeburg, und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie, der Stadt Magdeburg und zahlreichen Medien. Universitäten und Hochschulen außerhalb Sachsen-Anhalts erwägen, diese Initiative zu übernehmen.
Vielfältige Nachfragen
Die Beratungswünsche waren ebenso vielfältig wie die Forschungsgebiete der Magdeburger Wissenschaftler: Werkstoffeinsatz, Korrosionsprobleme, Bildverarbeitung, Laser- und Strömungstechnik, Festigkeitsfragen, Windkraftanlagen, Ingenieurausbildung, Weiterbildung und, und, und. Jens Garlin von der Modell, Werkzeug- und Formenbau GmbH kam mit einem Designer-Modell eines neuartigen Autospoilers an die Uni. Das wurde hier zur Vorbereitung der schnellen Fertigung als Aluminiumteil digitalisiert. Einhundert Meter hohe Türme in Stahlbetonbauweise projektiert das Ingenieurbüro Hartmann. Um die Schalungsteile in leicht zu handhabender Containergröße mit etwa 12 Metern Länge anbieten zu können, sind verschiedene Spezialmaschinen und -verfahren erforderlich. Hier halfen die Wissenschaftler der Universität weiter. »Und das soll erst der Anfang der Zusammenarbeit gewesen sein«, beteuert Ines Schlegelmilch vom Ingenieurbüro. In der SKET Walzwerktechnik GmbH liebäugelte man mit der Anschaffung von 3-D-CAD-Technik. Doch welche ist die richtige? Für Dr. Christian Steglich, Leiter Konstruktion und Entwicklung im Unternehmen, kam da das Angebot der Uni-Professoren gerade recht. Ganz neutral konnten sie ihre Erfahrungen mit verschiedenen Systemen, die in den Forschungslaboren der Institute genutzt werden, weitergeben.
Nicht nur Geben
Doch diese Sommeraktivität sollte nicht nur ein Geben sein. »Natürlich sehen wir in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen auch Synergie-Effekte, die wir in der Ausbildung unserer Studierenden nutzen möchten. Und nicht zuletzt war die Aktion eine Chance, junge Leute davon zu überzeugen, daß es sich lohnt, in Magdeburg an einer zukunftsorientierten und offenen Universität zu studieren«, erläutert Prof. Helmut Tschöke.
Ein ganz besonderes High-Light können die Professoren ihren Studenten jetzt als Anschauungsobjekt bieten. Drei 18-Zylinder-Gas-Diesel-Motoren, von denen einer so groß wie unser Senatssaal ist, warten im Stendaler Blockheizkraftwerk auf eine Wirkungsgradbestimmung. Ein Praxisbeispiel, das in den Versuchshallen der Universität nie zu bieten wäre.
»Keine gute Ingenieurausbildung ohne Kontakte zur Praxis«, unterstreicht Prof. Lothar Mörl. Diese Kontakte von Universitätslehrstühlen zu Industriebetrieben gab es auch in der Vergangenheit schon, und sie werden weiterhin intensiv gepflegt. Die Sommeraktion jedoch ermöglichte auch zahlreiche Neukontakte. Die Magdeburger Kaffee-Rösterei RÖSTFEIN ist seit Jahren ein Partner bei der Erprobung von Wirbelschichtverfahren. Neu hingegen war die Suche nach einem Weg, Eierschalen weiterverarbeiten zu können, um sie nicht deponieren zu müssen.
Der Tag der Wirtschaft
Den vorläufigen Abschluß dieser überaus fruchtbaren Aktion bildete Anfang Oktober 98 der Tag der Wirtschaft - sozusagen die Umkehrung der Professoreninitiative, denn nun gingen die "Unternehmer in die Wissenschaft". Über 40 Firmen folgten der Einladung, um sich an den 13 Instituten der beiden Fakultäten vom Leistungsstand der universitären Forschung zu überzeugen. Gemeinsam mit den Gästen konnten die Wissenschaftler am Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung ein Forschungs- und Konsultationszentrum DREHEN als Gemeinschaftsprojekt zwischen der Universität und der Werkzeugmaschinenfabrik HEID Magdeburg einweihen. Geschäftsführer Bernd Löhr übergab diese Drehzelle im Wert von ca. 550 000 DM, die auch schon Käufer in Amerika fand. Das Zentrum steht in der Forschung für die Hochgeschwindigkeitsdrehbearbeitung und in der Ausbildung von Maschinenbaustudenten zur Verfügung. Es ist aber auch Konsultations- und Weiterbildungszentrum für die CNC-Bearbeitung. Joachim Lerche, Geschäftsführer der PHM GmbH Industrieanlagen Burg, vereinbarte gleich einen Beratungstermin. Bauteile aus schwerspanbarem Werkstoff sollen auf der neuen Maschine getestet werden, um u.a. neue kostengünstige Technologien für die Komplettbearbeitung konkreter Bauteile entwickeln zu helfen.
»Die Wissenschaftler der Universität«, so der Dekan der Fakultät für Maschinenbau, Prof. Horst Herold, zum Tag der Wirtschaft, »werden die kleinen und mittelständischen Unternehmen auch nach dieser Sommeraktion mit ihrem Wissen unterstützen und applikative Forschungsergebnisse kurzfristig in die praktische Anwendung überführen.« Die aufgebauten Kontakte werden weiter gepflegt und haben schon in zahlreichen Fällen zu konkreten Forschungsverträgen zwischen Universität und Unternehmen geführt. Und das war eins der wesentlichsten Anliegen der Initiative Professoren gehen in die Wirtschaft, wollten die Wissenschaftler der Universität doch zu keiner Zeit eine Konkurrenz für die etablierten beratenden Ingenieurbüros sein.