Da war für jeden etwas dabei
Ein dichtgefülltes Programm zu den Magdeburger Studententagen 2001
Das Programm der diesjährigen Studententage war dicht gepackt. 15 Tage lang gehörte die Stadt den Studierenden der Magdeburger Hochschulen – Kultur und Sport von der Grafitti-Werkstatt bis zum Campusfest am Herrenkrug, von Gartencafé bis Keimzeit-Konzert, von Studentenkabarett ROhrSTOCK bis Jazzsommer, von Beach-Party bis Beach-Volleyball, Triathlon und Drachenbootrennen. Einige Eindrücke sind auf dieser Seite festgehalten.
Turbulentes Liebesspiel
Liebesgott Amor schwingt in Mozarts Opern nicht selten den Taktstock. Zudem gibt es da meist ein heiteres Durcheinander von Lust und Leidenschaft, das am Schluss dann doch zur Liebe führt. Und genau diese Konstellation nehmen sich zehn Studierende und Absolventen unseres Instituts für Musik zum Motto ihres jüngsten Opernprojektes "Liebe, Lust und Leidenschaft". Unter der Leitung von Prof. Monika Köhler bringen sie mit witzigem Spiel in phantasievollen Kostümen und mit sängerischer Bravour eine musikalische Collage von Szenen aus Zauberflöte und Hochzeit des Figaro auf die Bühne - liebevoll interpretiert und respektlos kommentiert für Menschen von 12 bis 120 Jahren. Begleitet vom Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode, unter Leitung von Christian Fitzner, verführen die Nachwuchssänger ihr Publikum zu einer temperamentvollen "Liebesnacht", die Horst Kupich inszeniert hat.
Und in der geht ohne die Soffleuse Ingeborg (Tabea Wollner) gar nichts. Nicht nur, dass sie den vollen Durchblick bei dem turbulenten Verwirrspiel um das "Wer mit wem?" hat. Nein sie weiss auch charmant den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Theaterwelt zu berichten. Ganz nebenbei führt sie das Publikum in die beiden Mozartopern ein. Dabei schmachtet sie immer wieder sehnsüchtig nach Tamino, hat Mitleid mit dem trinkfreudigen Gärtner, ist eifersüchtig auf die kecke Zofe Susanna, ja, greift am Schluss sogar selbst ins Geschehen ein und macht damit das Chaos perfekt.
Doch am Ende wird alles wieder gut. Prinz Tamino bekommt seine Prinzessin Pamina, Papageno findet mit Papagena sein Glück, der Graf bleibt bei seiner Gräfin, Figaro kann die Zofe Susanna heiraten und Soffleuse Ingeborg ... Tja, die rutscht volltrunken vom Stuhl und verpasst das furiose Finale. Und das Publikum hat einen wunderbaren Opernabend mit jungen Sängerinnen und Sängern erlebt, die durch Spielfreude, Witz, Frische und vor allem ihre hervorrangenden sängerischen Leistungen begeistern.
Ines Perl
Ermutigung in der Mensa
Zu einem Abend "Gegen Gewalt" hatte das Studentenwerk Magdeburg in die Mensa Pfälzer Straße eingeladen. "Das Thema kann aktueller nicht sein", eröffnete Geschäftsführer Dr. Heinz-Dieter Kühne die Veranstaltung, die sich gegen jedwede Gewalt wenden sollte, ob Diskriminierung, Missachtung der Menschenrechte, Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt in der Familie. Eine Ausstellung mit Photos von amnasty international aus dem Kosovo und Zeichnungen von Wilhelm Sprick über seine Aufenthalte in Zuchthäusern in Torgau und Bautzen war im Obergeschoss der Mensa zu sehen. Gezeigt wurde der Film "Ich habe getötet" über liberische Kindsoldaten, der 2000 mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet worden ist. Quasi als Vorprogramm zum Höhepunkt des Abends, dem Konzert von Wolf Biermann, spielte die Band "Henry's Inn" mit rockigen und raggae-geprägten Rhythmen, aber auch wunderschönen Balladen auf, die leider in der katastrophalen Akustik des Speisesaals versackten.
Auch Wolf Biermann musste gegen die schlechte Akustik, gegen Stimmengewirr, Zigarettenqualm und zischende Bierhähne ansingen. Doch er hatte die wiedrigen Umstände und sein Publikum fest im Griff. Mit seinen politischen Songs begeisterte der Poet sein Publikum - zum Teil Studenten, die noch nicht einmal geboren waren, als das DDR-Regime seine Auftritte und Lieder verbot; zum Teil aber auch viele, die seine Ausbürgerung "live" miterlebt hatten, die das Barlach-Lied, Pardon oder die Stasi-Ballade mitsingen konnten.
Ermutigung hatte er sein eigens für Magdeburg zusammengestelltes Programm genannt. Ermutigung nach seinem 1966 entstandenem und später verbotem Lied, das die Häftlinge in Bautzen sangen, ohne zu wissen, wer es geschrieben hatte. Nichts Nobleres könne einem Lied passieren, meinte der Barde dazu.
Immer wieder Anekdoten
Zwischen den Stücken immer wieder Anekdoten, die er selbst erlebte wie die von Havemann und der Wanze, die den Empfang des japanischen Transistorradios störte. Oder die der Bürgerrechtler in den 80.000 Seiten Stasi-Unterlagen über sich nachgelesen hatte. Der Liedermacher erzählte auch seine Lebensgeschichte: Kam aus einem kommunistischen Nest, ging mit sechzehn in die DDR und fühlte sich dabei wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn. Millionen kamen ihm auf diesem Weg entgegen. Er sprach über den Kommunismus und die vielen Ermordeten unter Stalin, sprach von der DDR als Tierversuch am lebendigen Menschen, und er sprach über das Jetzt, über Konzerte in Magdeburg, Leipzig oder Dresden: "Es zottelt mir am Herzen, im Osten zu spielen".
Ines Perl
Eine schöne Müllerin
Kurz vor der Semesterpause boten Professor Könning, alias Tobias Wollner, und sein eifriger Assistent (Tabea Wollner) den Teilnehmern am Kurs "Studieren mit 50" eine Vorlesung zur Geschichte von Franz Schuberts "Schönen Müllerin" an. Und was das nicht nur Senioren-Publikum da im Hörsaal Feuerwache serviert bekam, war Überraschendes von der "Forelle Müllerin Art" über das Moulin-Rouge bis hin zur Hip-Hop-Variante des schubertschen Liedzyklus.
Angefangen habe alles in Ägypten, wo ein gewisser Wilhelm Müller die Wurzeln entdeckte, so der Professor. Dann wandelte sich die Müllerin-Idee von spätmittelalterlichen Madrigalen aus Italien durch den Einfluss der Naturvölker zur erzgebirgschen Variante um das Bächlein. In Ungeduld wurden Hip-Hop-Elemente enttarnt und auch das politische Lied nahm durch die FDJ-Singebewegung Einfluss auf die "Schöne Müllerin". In Die Flut beobachtete der Professor Farbenspiel und Inspiration. Folkloristische Aspekte brachte die ukrainische Facharbeiterin für Mehlverarbeitung in die Vorlesung. Die Tanzeinlage des Assistenten Am Feierabend offenbarte eine ganz neue Sichtweise. Und etwas Mystik umgab das Phantom der Mühle.
Immer wieder führten Professor Könning und sein Assistent das Studentenpublikum durch praktische Übungen in die Thematik der "Schönen Müllerin" ein. Und ein ums andere Mal konnte das Publikum die enorme Wandlungsfähigkeit der Wollner-Geschwister erleben, die dem Gelehrten-Duo Leben einhauchten. Sie begeisterten ihre "Hörerschaft" nicht nur durch ihr musikalisches und sängerisches Können, sondern auch durch ihre schauspielerischen Parts und vor allem komödiantischen Einlagen in diesem spritzig-witzigem Programm.
Ines Perl
Lachen ist die beste Medizin
Man spielt an dem Ort, wo die turbulente englische Komödie "Und alles auf Krankenschein" von Ray Cooney spielt - im Krankenhaus. Die alte Kantine des Marienstiftes wird für die neue Inszenierung des Studententheaters PLACEBO in einen "Theatersaal" umfunktioniert und auch die medizinischen Requisiten von Krankenbahre bis zur Injektionsspritze, vom weißen Kittel bis zum Sarg sind echt.
PLACEBO hat sich mit dieser witzigen englischen "Gesundheits"-Comedy wiederum ein Stück ausgesucht, das mit einem gehörigen Schuss schwarzem Humor und umwerfender Situationskomik Bombenrollen für die Schauspieler-Crew um Bernd Liebl bietet. Die zwerchfellerschütternd gespielten Dialoge, die witzigen Wortgefechte mit immer neuen, überraschenden Wendungen, Verwicklungen und Verirrungen wirken so krankenhausmilieu-echt, dass der Abend beweist: "Lachen ist die beste Medizin". Und davon wird sehr viel verordnet. Das Stück bedient alle Vorzüge und auch bekannten Klischees englischer Komik. Aus einer fast banalen Situation heraus entwickelt sich lawinenartig ein Chaos an Beziehungen, Verwechslungen und Missverständnissen.
Bernd Liebl hat mit "ordnender" Hand versucht, das Chaos-Stück zu strukturieren und dabei gelingt ihm vor allem durch die typengerechte Besetzung der Rollen eine flotte Inszenierung, die die Balance zwischen turbulent-deftigem Klamauk und intelligentem Wort-Spiel-Witz bis zum Schluss hält.
Im chaotischen Finale nämlich werden so ziemlich alle Fragen beantwortet, die der verschrobene, äußerst diensteifrige Sergeant Conolly so stellt: Warum die Oberschwester aus der Neurologie eine zehn Zentimeter lange Spritze in den Hintern bekam und Dr. Bonney eine Frau, von der er nichts weiss, eine Geliebte, die er Miss Tate oder Mrs. Lesley nennt, und eine Mutter, die Pussy heißt, hat? Für den diensteifrigen Polizisten ist es ein Wunder, dass im Krankenhaus St. Andrews Tote auferstehen und überhaupt hier wohl alles "Idioten" in Arztkitteln und diversen Fummeln herumlaufen. Fragen über Fragen, die im Laufe der turbulenten Aufführung - manchmal auch im Freien vor einer großen Fensterwand - mit fast artistischem Körpereinsatz im Spiel beantwortet werden. Eigentlich, und das ist ein interessanter Rahmen, warten die Zuschauer als ordnungsgemäß registrierte und beschilderte Delegierte eines Neurologen-Kongresses auf die Rede von Dr. Mortimer. Störungen, ungebetene Besucher, eine nervende Ehefrau, witzelnde Kollegen und ein alkoholkonsumierender Manager des Krankenhauses verhindern nicht nur dessen Redevorbereitung, sondern mit der bildhübschen Miss Tate und ihrem flippigen Sohn Leslie bricht auch die "delikate" Vergangenheit in das Ärzteleben von Dr. Mortimer, Dr. Bonney und Dr. Conelly ein. Letzterer lebt seine Lust an tuntigen Verkleidungen so richtig aus, ist mal dralle Oberschwester und dann auch besagte Mutter, die der entnervte Dr. Bonney Pussy nennt. Vieles in dieser turbulenten Geschichte ist noch viel undurchsichtiger! Am Spiel von Rajko Scharf, Anja Kluge in der Doppelrolle der strengen Oberschwester und nervenden Arzt-Gattin, Karsten Brückner, Mario Sack, Katrin Preim, Michael Weber, Daniel Semrau und Wolfram Wahle hat man seine helle Freude. Ach ja! Da ist dann auch noch der Patient Mr. Bill Lesley im Rollstuhl (Frank Stoffregen), der das Durcheinander perfekt macht. Mehr aber sollte wirklich nicht verraten werden. Hingehen und anschauen, wenn PLACEBO vom 20. bis 23. September 2001 wieder auffordert: "Der Nächste Bitte!". Lohnt sich! Allema!
Dr. Herbert Henning