Neue Wege in der Mitbestimmung
Der Standpunkt der Studierenden
+ + + Das Berliner Wahlmodell in der Diskussion + + +
Der Ursprung der Diskussion um das sogenannte "Berliner Wahlmodell" ist in den Studentenprotesten von 1997 zu suchen. Eine wesentliche Forderung damals verlangte nach mehr Demokratie und Mitbestimmung der Studierenden in den Gremien der Selbstverwaltung. Ein studentischer Basiskongreß hatte in Berlin im Januar 1998 das Wahlmodell vorgestellt und empfohlen, es in die damals gerade diskutierte Novelle des Landeshochschulgesetzes von Sachsen-Anhalt einzuarbeiten. Seither beschäftigt es Landespolitiker ebenso wie Hochschulvertreter und Studierende. Hier nun die Standpunkte der Studierenden, des Rektors, Prof. Dr. Klaus Erich Pollmann, und des Vertreters des Deutschen Hochschulverbandes, Prof. Dr. Knut Dietzmann, dazu.
Das Berliner Wahlmodell könnte nun bald Wirklichkeit und eine Art Magdeburger Wahl-Modell werden. Denn es gab am 2. März 1999 eine tiefgreifende Auseinandersetzung über das "Für und Wider" im Landtagsausschuß für Wissenschaft und Bildung, welcher sich letztlich auf einen Kompromiß einigen konnte.
Ein neues Wahl-Zeitalter
Pünktlich zu den nächsten Konzilwahlen im Jahr 2000 soll das neue Mitbestimmungsmodell Wirklichkeit werden. Dann nämlich soll das Konzil viertelparitätisch besetzt werden. Das bedeutet, nicht mehr die zahlenmäßig kleinste Statusgruppe einer Hochschule ist entscheidend für die Mehrheiten im Konzil, sondern alle haben die gleiche Anzahl von Mitgliedern. HochschullehrerInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, Studierende und sonstige MitarbeiterInnen werden dann jeweils zu einem Viertel im Konzil vertreten sein. Nach Landeshochschulgesetz hat das Konzil die Aufgabe, neben der Wahl des Rektors, die Grundordnung zu verabschieden.
In der novellierten Grundordnung soll das neue Konzil festhalten, in welcher Form alle anderen Organe der Hochschulselbstverwaltung gewählt werden sollen. Die hier von mehreren Statusgruppen favorisierte Form wäre das Berliner Wahlmodell. Nach diesem Modell sollen alle Gremien viertelparitätisch besetzt werden. Jede Statusgruppe wählt weiterhin ihre jeweiligen VertreterInnen in das entsprechende Gremium. Allerdings werden die VertreterInnen der Gruppe der Professoren insofern gesplittet, daß nur noch ein Teil von ihnen direkt von der ProfessorInnenschaft, der andere Teil von den nicht-professoralen Gruppen gewählt wird. Diese "Hüter der Wissenschaft" würden in Entscheidungen, welche die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre betreffen zum Zuge kommen. Damit geht das Modell auch mit der gegenwärtigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes konform. Die Gremien werden allerdings erst im Jahr 2002 nach diesem Modell gewählt werden können.
Garant für Demokratie
Das noch vor den nächsten Gremienwahlen zu verabschiedende Landeshochschulgesetz soll, neben der Zusammensetzung des Konzils auch klären, wann die ProfessorInnenmehrheit einsetzen soll. So werden die Entscheidungen, welche Forschung, Lehre und Berufung betreffen genau definiert werden. Alle anderen Entscheidungen, wie zu Studien-, Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen oder über den Haushalt, können nur mit der Mehrheit aller Statusgruppen beschlossen werden. Somit wird das Landeshochschulgesetzt nicht nur Garant für mehr Demokratie an den Hochschulen, sondern auch für die Freiheit von Forschung und Lehre.
Nach Vorstellungen der Mehrheit des Bildungsausschusses und der Studierendenschaften, soll die im Hochschulgesetz festgeschriebene Erprobungsklausel der Stärkung demokratischer Strukturen an den Hochschulen dienen, also im Sinne von Demokratieaufbau angewendet werden. Die Hochschulen haben nämlich mit der Erprobungsklausel die Chance, über integrierte Wahlen, demokratische Entscheidungsprozesse zu fördern und zu stärken.
Vielfältige Impulse
Durch eine bessere Vertretung können die einzelnen Gruppen ihre Interessen in den Gremien wesentlich besser einbringen, wodurch viele neue Impulse, Anregungen und neue Gesichtspunkte in die Diskussion und den Entscheidungsprozeß getragen werden. Vor allem aber kann eine Demokratisierung allen Betroffenen ermöglichen, sich selbst in den politischen Entscheidungsprozeß einzubringen und von ihren Grundrechten vermehrten Gebrauch zu machen.
Die Demokratisierung der Hochschulen im Sinne von mehr und gerechterer Mitbestimmung ist also gleichzeitig eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung. Nur so können neue Impulse von den Hochschulen ausgehen, welche die Gesellschaft anhand demokratischer, sozialer und ökologischer Gesichtspunkte mitgestalten.
Dennis Jannack
Modell birgt Risiken in sich
Der Standpunkt des Rektors, Professor Klaus Erich Pollmann
Wird ab dem Jahr 2000 das Berliner Wahlmodell in Sachsen-Anhalt eingeführt? Das ist zur Zeit noch eine offene Frage. Ich glaube es eigentlich nicht.
Ist das Berliner Wahlmodell an Hochschulen anderer Bundesländer bereits erprobt? Nein. Nach meinen Informationen ist das sogenannte Berliner Wahlmodell in der Mehrheit der Bundesländer völlig unbekannt. Jedenfalls spielt es in der Diskussion um die Hochschulreform kaum eine Rolle.
Wie stehen Sie als Rektor zur Einführung dieser Wahlmodalitäten für die Gremien der Selbstverwaltung? Ich sehe darin keine Verbesserung der demokratischen Strukturen, sondern im Gegenteil ein erhebliches Risiko. Das bezieht sich zunächst einmal auf die Frage, ob dieses Wahlmodell mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 vereinbar ist. Die Universität ist eine nach Fakultäten und Wissenschaftsgebieten gegliederte Einrichtung, in der sich die Art und der Umfang der Mitwirkung nach ,Qualifikation, Funktion, Verantwortung und Betroffenheit der Mitglieder der Hochschule' regeln muß. Wie man in den Universitätsgremien die durch die finanziellen Kürzungen erforderlichen harten Einschnitte durchsetzen will, wenn die Fakultäten nicht mehr angemessen repräsentiert sind, ist mir völlig schleierhaft.
Wäre nicht aber mehr Demokratie zu begrüßen? Mehr Demokratie ist immer zu begrüßen. Doch muß man bei der Übertragung des Demokratisierungsgebots auf einzelne gesellschaftliche Institutionen auf unterschiedliche Funktionen und Verantwortlichkeiten achten. Das haben die Erfahrungen der Zeit nach 1968 in den alten Bundesländern gelehrt. Es gibt derzeit genügend andere Ansätze, um das Demokratisierungsgebot noch stärker in die Tat umzusetzen sowie das Ausmaß der Mitwirkung aller Statusgruppen zu vergrößern.
Sachsen-Anhalt - ein Experimentierfeld?
Standpunkt des Deutschen Hochschulverbandes
Nachdem erst kürzlich unsere Landtagsabgeordneten im Alleingang das gesamtdeutsche Hochschulrecht mit der Delegation des Promotionsrechts an Fachhochschulen brüskierten, bahnt sich ein neues Desaster an. Im November 98 führte der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft des anhaltischen Landtages eine Anhörung zum sogenannten Berliner Wahlmodell mit dem Ziel durch, eine Pilotstudie im Land zu starten.
Eine kleine Gruppe der Studentenschaft war im vergangenen Jahr in Berlin zusammengekommen, um die geltende, verfassungsrechtlich geschützte und bewährte Gruppenuniversität durch ein neues Mitbestimmungsmodell - das Berliner Wahlmodell - zu liquidieren. In der Gruppenuniversität bilden HochschullehrerInnen, das wissenschaftliche Personal, die Studierenden und die hauptberuflichen MitarbeiterInnen je eine Statusgruppe (§ 69 Hochschulgesetz des LSA vom 19. März 1998), die nur selbst ihre eigenen Gruppenvertreter für die Gremien wählen können. Im geltenden Landes- und Bundesgesetz ist zur Gewährleistung von vernünftigen Entscheidungen in Lehre, Forschung und Berufung die absolute Mehrheit der Sitze für die Professorenschaft vorgesehen. Diese Stimmenmehrheit der ProfessorInnen in den Gremien ist das Angriffsziel der Studentenschaft der Berliner Tagung, die durch den Vorschlag "jeder wählt jeden" beseitigt werden soll. Dies würde aber den Kollaps der Sach- und Fachstrukturen unserer Hochschulselbstverwaltung heraufbeschwören.
Die Hinwendung zur Informationsgesellschaft und industriellen Globalisierung fordert zweifelsohne Reformen vom deutschen Hochschulwesen. Insofern sind alle Reformideen begrüßenswert. Allerdings sollte es in Sachsen-Anhalt an verantwortlicher Stelle möglich sein, von Anfang an die Spreu vom Weizen zu trennen. Die notwendige Leistungssteigerung im Studium, in Lehre und Forschung, die wir an unseren Universitäten brauchen, wird nicht vom Berliner Wahlmodell bewegt. Überdurchschnittliche Studienabschlüsse, erhöhte Forschungsleistungen werden immer noch durch Motivation und Leistungsbereitschaft und nicht durch Veränderung der Bürokratie erreicht. Man muß fragen, ob vor dem Hintergrund der Streichung von 35 Mio. DM für das Hochschulwesen solche untauglichen verfassungsrechtlich bedenklichen Modelle die Priorität im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft besitzen müssen? Was will der Landtagsausschuß mit der zweifelhaften Hochschulpolitik erreichen? Bessere Studienabschlüsse? Innovationen? Patente? Attraktivität für ausgewiesene Lehrer und Wissenschaftler?
Prof. Dr. Knut Dietzmann